IDAHOBIT 2023: Protest vor dem Landtag

Zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit gehen in München queere Menschen aus ganz Bayern auf die Straße. Sie fordern einen Aktionsplan.

Mit dem IDAHOBIT am 17. Mai eröffnen die bayerischen CSDs die Pride-Saison. Sie haben sich zusammengetan, um im Freistaat endlich einen Aktionsplan durchzusetzen, der die Gleichstellung von LGBTIQ* zum Programm hat und Diskriminierung bekämpft. Bayerns Ministerpräsident
Dr. Markus Söder hatte einen solchen angekündigt. Die Inhalte will die Community bestimmen.

München, 8. Mai 2023 – Gleichstellung en passant? In seinem Podcast „Auf eine weiß-blaue Tasse" hatte der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder im Gespräch mit dem Wirt der Deutschen Eiche, Dietmar Holzapfel, so ganz nebenbei erwähnt, es brauche einen queeren Aktionsplan. Er gab damit einer langjährigen Forderung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen in Bayern nach. Wahlkampftaktik? In jedem Fall eine Chance!

PRESSEBILDER UND STATISTIKEN

Bereits Anfang des Jahres hatten sich CSDs in ganz Bayern zusammengeschlossen, um 2023 unter einem einheitlichen Motto einen „Queeren Aktionsplan Bayern jetzt!“ zu fordern. Im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl, die am 8. Oktober stattfindet, soll das gemeinsame Auftreten den Druck erhöhen. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem es keinen Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gibt. Die Staatsregierung hielt das bislang für unnötig.

 

Ein Aktionsplan zur Sensibilisierung der ganzen Gesellschaft

Eine Petition dazu läuft schon seit vergangenem Jahr. Das Münchner schwul-queere Zentrum Sub hatte zum IDAHOBIT 2022 erste Forderungen gestellt. Die Landesregierung soll so unter anderem dazu gebracht werden, endlich queer-spezifische Gewalt- und Diskriminierungszahlen zu erfassen, die Polizei für die Belange queerer Menschen zu sensibilisieren, die lückenhafte

Beratungsinfrastruktur gerade auf dem Land auszubauen, Lehrpläne zu überarbeiten, Unterkünfte speziell für LGBTIQ*-Geflüchtete in allen Regierungsbezirken zu schaffen etc. DETAILS HIER

Dr. Tobias Oliveira Weismantel, Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe, Mitveranstalterin des Münchner CSD, sagt: „Wir freuen uns, dass Herr Söder mit seiner Regierung endlich einen queeren Aktionsplan umsetzen möchte. Wir führen das auch darauf zurück, dass die Community in Bayern gute Überzeugungsarbeit geleistet hat. Aber die Ankündigung ist das eine; nun müssen Taten folgen.“

Weismantel kritisiert, dass ausgerechnet Sozialministerin Ulrike Scharf sich um das Thema kümmern soll. Sie hatte zwar im Frühjahr Vertreter*innen der queeren Community empfangen und sich über aktuelle Bedarfe informieren lassen, ausreichend Expertise kann aber so noch lange nicht entstehen. Zumal Scharf der Bundesregierung 2022 noch "Ideologie" vorwarf, als es um die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes ging und in diesem Zusammenhang von einer „Trans-Mode“ sprach. „Das zeigt: Der Staatsregierung fehlt das Wissen und die Sensibilität für den Umgang mit queeren Menschen. Unserer Ansicht nach kann sie deshalb keinen Aktionsplan ohne die Community erarbeiten. Die Inhalte müssen wir als queere Menschen einbringen.“

 

Strong: Übergriffe gegenüber queeren Menschen nehmen zu

Ein solcher Aktionsplan scheint dringend geboten. Wie die LGBTIQ*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt Strong! im Sub für Bayern dokumentiert, steigt die Zahl der Delikte gegen die Community im ganzen Land an (runter scrollen).

Die Einrichtung erfasste 2022 insgesamt 159 Vorfälle, darunter Beleidigungen, tätliche Angriffe, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen und Stalking. Strong! dokumentiert seit 2020 systematisch und bayernweit Übergriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und inter* Menschen. 165 Fälle registrierte Strong! 2021, im Jahr 2020 waren es 101.

„Die Dunkelziffer aber dürfte noch viel höher liegen“, sagt Dr. Bettina Glöggler, die für die Fachstelle Strong! in München arbeitet. Am häufigsten erfahren Betroffene Gewalt im öffentlichen Raum, bei sich zuhause, Geflüchtete besonders in den ihnen zugewiesenen Unterkünften. In den meisten Fällen erstatten die Opfer aus Scham keine Anzeige.

Vor diesem Hintergrund sei es besonders fragwürdig, warum Bayern als einziges Bundesland in Deutschland noch keinen Aktionsplan habe, meint Glöggler. Ein solcher könne helfen, Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTIQ* sichtbar zu machen und konkrete Maßnahmen einzuleiten. Denn offenbar ist es nach wie vor ein Risikofaktor, sich offen als LGBTIQ* zu erkennen zu geben oder sich gar für die Community zu engagieren.

 

„Schwuchteln“ rief es aus einer Gruppe junger Männer. Dann kassierte er Schläge

Enrico W. schreckt das nicht. Er engagiert sich beim CSD in Landshut und geht auch sonst offen mit seiner Sexualität um. Dass er dafür mal Prügel einstecken muss, hätte er allerdings nie gedacht. Sein Fall ging durch die Presse: Nach dem Besuch eines queeren Clubs in Dingolfing wurden er und sein Freund beleidigt, als sie vor dem Lokal rumknutschten. “Schwuchteln“ rief es aus einer Gruppe junger Männer. Enrico lief dem Typen nach, konfrontierte ihn und kassierte Schläge. An das, was danach passierte, kann er sich bis heute nicht genau erinnern.

Und auch wenn Enrico zugibt, dass er sich jetzt schon zweimal umschaut, ob er händchenhaltend mit seinem Freund durch die Stadt läuft, wird er weiter sichtbar für gleiche Rechte und Akzeptanz von queeren Menschen werben. „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt er.

 

Der IDAHOBIT leitet die Pride-Saison in Bayern ein

Am 17. Mai nun macht die Community das erste Mal ordentlich Druck. Insgesamt 20 CSDs rufen am Abend des IDAHOBIT zum Protest auf. Mit einer Demo Richtung Landtag wollen die Veranstalter*innen die Dringlichkeit ihres Anliegens zum Ausdruck bringen.

"Es ist unerträglich, dass sich die bayerische Staatsregierung nicht längst für alle Bürger*innen des Landes einsetzt und queeren Menschen, dieser besonders vulnerablen Gruppe, Unterstützung und Schutz gewährt", sagt Bastian Brauwer, Vorstand des CSD Nürnberg.

Die CSDs in Bayern wollen in Kürze eine Online-Plattform aufsetzen, an der sich alle mit Vorschlägen beteiligen können, was ihrer Meinung nach in den queeren Aktionsplan gehört. Und zum Ende der CSD-Saison, am 8./9. September, lädt der LSVD Bayern zu einer Konferenz, in der sämtliche Stakeholder der bayerischen Community die Maßnahmen erarbeiten werden, die die Staatsregierung dann umsetzen soll.

 

Kundgebungen und Kunst-Performance

Der Protestmarsch startet am 17. Mai um 19.30 am Marienplatz mit Ansprachen und führt dann, angeführt von der Samba-Gruppe "Ruhestörung", durch die Altstadt über die Maximilianstraße Richtung Landtag. Am Maxmonument endet der Zug mit einer Kunst-Performance des Duos Ganymoney. Die Veranstalter*innen erwarten um die 500 Teilnehmer*innen.

Es sprechen am Marienplatz:

  • Bettina Glöggler, LGBTIQ* Fachstelle Strong! zum Thema Diskriminierung und Gewalt
  • Miriam Dirscherl, Lehrerin aus Regensburg, zum Thema Bildung
  • Albert Knoll, Forum Queeres Archiv, München, zum Thema Erinnerungskultur
  • Phoebe Wenta, CSD Traunstein, zum Thema Queere Infrastruktur auf dem Land
  • Vincent Steppert, CSD Haßberge, zum Thema Gewalt auf dem Land
  • Jule Rönitz, diversity München, zum Thema Jugend
  • Anna Geiger, Rosa Alter, zum Thema Alter

Am Maxmonument tritt zum Abschluss auf:

  • Markus Apel, LSVD Bayern, zu den Forderungen im Aktionsplan

Bastian Brauwer vom CSD Nürnberg appelliert an die Staatsregierung, „endlich ihrem Mandat nachzukommen und die Inhalte mit uns zu entwickeln, nicht so nebenbei, sondern in vollem Bewusstsein der Verantwortung, die sie trägt.“

Seit mehr als 40 Jahren demonstrieren LGBTIQ* in München für gleiche Rechte und Akzeptanz. Bei der größten Veranstaltung der Community im süddeutschen Raum, die getragen wird vom lesbischen Dachverband LesCommunity, dem Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum Sub, der Münchner Aids-Hilfe, der Wähler*inneninitiative Rosa Liste und der Jugendorganisation diversity, finden innerhalb einer 16-tägigen PrideWeek mehr als 60 Veranstaltungen statt. Höhepunkte sind die PolitParade mit zuletzt 400.000 Teilnehmer- und Zuschauer*innen (2022), das zweitägige Straßenfest rund um den Marienplatz und das Party-Event RathausClubbing.

Kontakt:
Conrad Breyer
Pressereferent
00491701859705
conrad@csdmuenchen.de

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